Freitag, 30. Juli 2010

Vom Grand Canyon zum Lake Powell (7)






Fotos von oben nach unten: (1) Lake Powell, (2) Sandsteinformation am Weg, (3) Anfänge des Colorado Canyon, (4) Grand Canyon

5.7. Page Courtyard Marriott 21.15 Uhr

Der Dämpfer auf die gute Stimmung folgt schnell: Mia hat ihre Brille in Scottsdale – also etwa 500 km entfernt – im Zimmer vergessen. Man gönnt sich ja sonst nichts. Der Anruf bringt auch wenig – das Housekeeping ist nicht mehr verfügbar.

Der Morgen im Grand Canyon Village beginnt mit einem Frühstück Marke Betriebskantine, aber dabei lernen wir einen netten Bayern kennen, der uns mit nützlichen Informationen zu weiteren Zielen versorgt, da er die Route in der Gegenrichtung unterwegs ist.

Dann nochmals der Weg zum Grand Canyon – diesmal auf die westliche Seite und erfreulicherweise ist die Sicht nun etwas besser. Der Canyon und ich freunden uns an diesem Vormittag an, aber die grosse Liebe wird es dennoch nicht mehr.

Die Strasse Richtung Page führt dann ostwärts aus dem National Park hinaus, wodurch wir noch drei weitere Aussichtspunkte mitnehmen können. Die Himmel ist abermals wolkenlos und die 230 km vor uns werden viel erfreulicher und sehenswerter als erwartet.

Zuerst kommen wir an den Anfängen des Colorado Canyon vorbei. Tiefe, unvermittelte Einschnitte in eine flache, wüstenähnliche Landschaft, die vor allem in der Draufsicht von oben grossartig wirken. Hier klaffen die Kanten nicht kilometerweit auseinander wie am Grand Canyon, sondern der Boden wirkt wie von einem wütenden Erdgott auseinandergerissen.

Doch es kommt noch besser. Wir fahren weiter durch karges Indianderland und die bereits tiefe Nachmittagssonne lässt die bizarren Sandsteinfelsen vor dem tiefblauen Himmel aufleuchten. Meine Frau schiesst Serienfotos aus dem fahrenden Auto und wir können uns beide kaum sattsehen an diesen Farbspielen.

Fast wie in einem Drehbuch muss dann der abermaige Dämpfer kommen. Lisa verliert bei einem Scenic-View-Halt eine Kontaktlinse, die trotz langer Suche unauffindbar bleibt. Andauerndes Schluchzen folgt. Ein echtes Roadmovie lebt aber auch von den Wechseln der Szenen und wir brechen nach einem kurzen, besonders spektakulären Anstieg durch die Sandsteinkette durch. Die Farbe wechselt auf karges Grün, doch wir nähern uns schon dem Ziel – dem Lake Powell. Der klingt im Reiseführer ganz nett – Staudamm, Wassersport und hübsch anzusehen.

Verschwitzt wie wir sind beschliessen drei von uns – Lisa zelebriert lieber ihr Unglück – noch kurz an den See zu fahren. Dieser entpuppt sich aus der Nähe als fantastische Kombination aus den leuchtenden ockerroten Felsen, die in der Abendsonne noch an Farbintensität gewinnen, und Vorboten des Monument Valley in Form eindrucksvoller Tafelberge am nahen Horizont. Warum man in diese traumhafte Szenerie dann relativ nahe ein kalorisches Kraftwerk hineinstellt, wissen nur die Amerikaner. Eine angesprochene Badende meint nur lapidar und eher unverständig, die hätten wohl den Wasserzugang gebraucht. Wir sind dennoch sowohl erfrischt als auch tief beeindruckt.

Der Hunger meldet sich und drei von uns – ja man muss auch sein Leid richtig auskosten – erkunden die gastronomische Szene von Page. Am Beginn Pizza Hut, dann Kentucky Fried Chicken, Taco Bell, Burger King und ein Stück weiter McDonalds.

Taco Bell erweist sich dann als durchaus essbar und wir entsetzen unser Junk Food erfahrenes Kind mit unserem unpassenden Benehmen. Immerhin fragen wir die Mitarbeiterin für den Kundenkontakt auch tatsächlich nach den Produkten. Schon die Frage nach einem Getränk ohne Zucker bringt sie ziemlich aus dem Kontext, dann fällt ihr doch noch Wasser ein. Damit bringt sie sich aber noch weiter in die Bredouille, denn wir fragen nach der Grösse der Flasche. Mehr als „Normal“ weiss sie nach einigen verzweifelten Sekunden dazu nicht zu sagen, dann verschwindet sie verdattert nach hinten, um eine Flasche vorzuweisen. Die Frage, welches Dessert sie denn empfehlen könne, erspare ich allen Anwesenden. Mia erklärt ihren vom Wandel der Zeit offensichtlich überrollten Eltern dann, dass man im Junk-Food-Restaurant einfach nichts fragt, sondern nur bestellt und wenn man die Dinge nicht kennt, dann muss man eben ausprobieren. Da benehme ich mich im Zweifel doch lieber seltsam.

FTI Rundreise Grandioser Westen (6) Der Grand Canyon




Fotos: Grand Canyon und Kinder beim Independence Day

4. Juli 21.15 Uhr Grand Canyon Village, Canyon Resort Plaza

Das Frühstück ist das Enttäuschendste am Hospitality Suite Resort in Scottsdale: Die Scrambled Eggs möglicherweise ohne echtes Ei, das Kartoffellaibchen ohne Geschmack und innen noch nicht aufgetaut, die French Toasts von den Kindern schmecken wie die Waffelmasse von gestern und für die beiden Croissants, die ich gewählt habe, würde ein Franzose sofort die Botschaft alarmieren, um die Namensnennung zu untersagen. Dafür trägt die Servierkraft einen 40 cm hohen Hut mit Stars and Stripes – Independence Day.

Damit genug von Phoenix – we make a left northbound. Zuerst pflügt der Highway durch die Wüstenlandschaft des südlichen Arizona. Wenig Vegetation, einige meterhohe Kakteen und fallweise sieht man, dass niedergekommene Trailerparks oder die ärmlichen Wohnschuppen mit den Autowracks vor der Tür nicht nur in Independent Roadmovies vorkommen.

Fast am Weg liegt Montezuma Castle (http://www.nps.gov/moca/index.htm ), bei dem es sich in Wahrheit um einen in die Felswand eingefügten Bau der Sinagua-Indianer handelt.Ich spare mir die 5 $ Eintritt, da das Gebäude ohnehin nur von aussen betrachtet werden kann. Ganz hübsch und interessant, aber so toll auch nicht, lauten in etwa die zusammengefassten Kommentare eine halbe Stunde später.

Die Landschaft wird dann grüner und Pinienwälder tauschen auf. An der Tankstelle entdecken wir allerdings einen etwa 10 Meter hohen Baum, der aus Metall und Plastik gefertigt ist. Warum man so ein Ding für viel Geld in die Landschaft stellt, wissen wohl nur Amerikaner.

Der Dodge frisst übrigens 11 bis 12 Liter auf 100 km und das bei 120 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Das höchste, auf das ich ihn jemals beschleunigt habe, waren etwa 140 km/h und da sehe ich in Gedanken schon den Sheriff hinter dem Busch hervorspringen.

Nach etwa drei Stunden Nettofahrzeit kommen wir im Canyon Resort Plaza an. Das Ticket für den Grand Canyon können wir gleich an der Rezeption lösen, wobei die Amerikaner bezeichnenderweise die Preise nicht pro Person, sondern per Auto berechnen.

Meine Nervosität meldet sich – das grosse Highlight liegt nun nahe. Das unvergleichliche, durch den blossen Anblick menschenlebenverändernde Weltwunder – sozusagen eine umgekehrte Medusa. Selbst aus Stein nährt es den Betrachter durch den blossen Blick darauf, verändert sein Leben mit neuen Einsichten und Perspektiven. So sagt es wenigstens sinngemäss der Film L.A. Story mit Steve Martin und die Reiseführer-DVD, die ich zuhause konsumiert habe. Keine kleine Erwartungshaltung also, als ich am Weg vom Parkplatz schon die ersten Gesteinsschichten durch die Bäume schimmern sehe.

Und es kommt, wie es kommen musste: Ich bin mehr enttäuscht als ergriffen, als er wirklich auftaucht. Die Farben sind blass wie auf einem zarten Aquarell, die Luft diesig und der Abstand zum North Rim sehr weit.

Zumindest bin ich kein Einzelfall. Lediglich Mia scheint voll begeistert und all die Amerikaner, Japaner und Chinesen scheinen das Naturwunder ohnehin nur als Fotohintergrund aufzusuchen. Kaum jemand fällt mir auf, der länger als ein paar Sekunden verweilend in die berühmteste Schlucht der Welt blickt. Und eindrucksvoll ist die Aussicht doch und wird es nach einem kleinen Fussmarsch noch mehr. Die freigelegten Gesteinsschichten wechseln zwischen rötlich, grün, braun und ocker; die Formen sind teilweise bizarr. Sogar zwei kleinere Felsenfenster können wir entdecken.

Der vom Hotel-Concierge vorgeschlagene Plan sieht Abendessen im mittleren Teil und dann Sonnenuntergang nach einem 30 Minuten Spaziergang um 7.50 Uhr vor. Das Restaurant entpuppt sich entgegen den Erwartungen als noble Adresse mit Namenseintrag in die Tischordnung und 140 $-Rechnung für vier Hauptspeisen, ein Bier und zwei Cola (ich bleibe beim Eiswasser). Der Lachs und die Ente sind in Ordnung, aber das Hühner Cordon Bleu ist zum Vergessen und die Gemüsebeilagen mit Karotten und Broccoli wurden offensichtlich nur zu einem sekundenschnellen Tauchgang in heissem Wasser ermutigt, ehe sie entsetzt von solcher Behandlung auf den Teller hüpften. Am härtesten scheint im Lokal die Klimaanlage zu arbeiten, weshalb das Essen innerhalb einer Minute auf etwa 15 Grad abkühlt.

Trotz der minimalen Garzeit für das Gemüse dauern diese Kunstwerke der Kulinarik so lange, dass wir den Rückweg nicht mehr rechtzeitig schaffen und den Sonnenuntergang, der 15 Minuten vor der angekündigten Zeit stattfindet, vor dem Restaurant zu bestaunen versuchen. Versuchen, denn wie mir schon meine noch rudimentär vorhandenen geometrischen Kenntnisse hätten sagen müssen, fallen bei Sonnenuntergang kaum noch Sonnenstrahlen in eine mehr als 1000 Meter tiefe Schlucht und so liegen bereits vier Fünftel im tiefen Schatten. Somit verdunkelt sich auch meine Stimmung parallel zu den Gesteinsschichten des Canyon und wir nehmen zurück den Shuttle-Bus, der mit 45 Minuten auch etwa gleich lang braucht wie wir für 3 km zu Fuss benötigt hätten.

Doch wir schaffen es praktisch auf die Sekunde genau noch zur traditionellen Independence Day-Parade im Ort. Es handelt sich offensichtlich im die ländliche Variante: Dad hat den Pick-Up mit Lichtgirlanden geschmückt und zieht die Kinder im dekorierten Anhänger, von dem aus diese Wasser ins Publikum spritzen und „God bless America“ rufen. Sinnigerweise beteiligt sich auch die Baptistenkirche an diesem Wasserspritzenritual mit einem eigenen Wagen. Dazwischen fahren Sheriff und Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene, den HNO-Arzt zur Behandlung der sicher aufgetretenen Hörstürze kann ich aber nicht entdecken. Hat aber trotzdem seinen eigenen Charme – vor allem wenn man in die Kindergesichter blickt.

Donnerstag, 29. Juli 2010

Auf nach Phoenix (5)




Fotos: Am Hochplateau der Palm Springs Aerial Tramway

Der nächste Tag beginnt dann für mich früh. Beim Frühstück sinkt dann auch die Laune der Kinder deutlich: Das im Frühstücksraum laufende TV-Gerät offenbart 3:0 Zwischenstand im Fussball WM-Spiel Deutschland gegen Argentinien. Dazu passt dann die Qualität des American Breakfast im ohnehin leicht desolaten Comfort Inn: Plastikwegwerfteller, Wegwerfbesteck und –becher sowie Plastik-Wegwerftoast. Als Untermalung erhalten wir das Triumphgeschrei einer deutschen Familie am nahen Fernseher und so dürfen wir auch das 4:0 akustisch miterleben. Zumindest gratis ist das Frühstück, obwohl FTI das nicht so ausweist. Hier hat sich das Fragen an der Rezeption gelohnt.

Und wir lernen, wie man in den USA Waffeln bäckt. Die Masse kommt aus einem eigenen Spender und beim ersten Piepser muss das Waffeleisen gewendet werden, beim zweiten ist die weitgehend geschmacklose, aber leicht knusprige Masse dann fertig. Zumindest gesättigt beginnen wir den Tag und Spanien und Niederlande lauten die neuen Synonyme für Hoffnung.

Sonntag 4.7. 6.00 Uhr Scottsdale / Phoenix, Hospitality Suite Resort

(Heute ist Independence Day. Da er dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, ist der darauf folgende Montag ein Feiertag. Eine interessante Praxis von jemandem, der den Europäern permanent vorwirft, zuwenig zu arbeiten. Vor allem aber ist es bereits 6.00Uhr früh, was bedeutet, dass ich tatsächlich fast acht Stunden zusammenhängenden Schlaf hinter mir habe. „I feel good“, heisst das bei James Brown.)

Doch der Reihe nach. Das schmuddelige Comfort Inn – allein der Name verhöhnt den Gast geradezu - hinter uns lassend fahren wir zur Palm Spings Aerial Tramway www.pstramway.com – einer Seilbahn auf den benachbarten 2.600 Meter hohen Berg. 93 $ sind keine Okkasion, da die Kinder bereits voll zahlen, dafür belohnt mich meine Frau mit der anerkennenden Bemerkung, sie sei froh, dass ich nicht mehr so geizig sei.

Die 11 Minuten währende Fahrt ist eindrucksvoll: Es eröffnen sich schöne Blicke auf Palm Spings und das ganze Coachella Valley mit Wüste und geschätzten 200 bis 300 Windrädern, die dem Sprecher des Tonbandes in der Gondel zufolge „eine Menge Haushalte mit Strom versorgen können“. Das nennt man Präzision.

Überhaupt dieses Tonband: Interessante Fakten wechseln sich ab mit den wiederholten Hinweisen auf die Segnungen des Restaurants oben und des Shops unten. Und dann der Hinweis auf die grossartige Leistung von Mr. Francis Crocker, diese Seilbahn, bei der sich die Gondel während der Fahrt zweimal um die eigene Achse dreht, nahezu eigenhändig erbaut zu haben. Und wer hat´s erfunden? Richtig – die Schweizer. De Rolle in Bern gemeinsam mit der Vorarlberger Firma Doppelmayr – wie zwei kleine Tafeln in der Bergstation belegen. Ein wenig Nationalstolz kommt als Trotzreaktion auf – auch wenn Doppelmayr von den Amerikanern in die Schweiz verlagert wurde.

Unten liegt die Wüste mit ein paar tiefliegenden Quellen, die mittlerweile nicht nur Palmen, sondern mehr als 40.000 Einwohner versorgen müssen. Oben ist es erstens nicht mehr 42 Grad heiss, sondern es fühlt sich wie 25 Grad an und es gibt offensichtlich mehr Wasser, denn es bietet sich eine kleine Hochebene mit eindrucksvollen Bäumen zum Rundgang an. Der längere führt über 1,5 Meilen, doch es ist bereits Mittag und 490 Kilometer Autofahrt liegen noch vor uns, also drehen wir vorzeitig um und gehen zurück zur Bergstation. Ausrufe der Kinder, wie cool diese Bäume seien, bezeugen die Attraktivität dieser Landschaft. Wenn ich nur nicht so müde wäre.

Unten das Navigationsgerät neu programmiert und ab nach Arizona. Für dieses Gerät sind wir tatsächlich sehr dankbar – genau genommen wären wir ohne nahezu hilflos. In Europa bewege ich mich weitgehend problemlos überall hin mit der Verwendung von Strassenkarten und Hinweisschildern. Hier jedoch – da die Ausfahrten keine Orts- sondern nur Strassennamen aufweisen – kann dieses System kaum funktionieren.

Und etwas Zweites an diesem 2-Tonnen-Monster Dodge Journey fällt angenehm auf: Die Stereoanlage ist exzellent. Die Instrumente kommen differenziert, die Bässe wummern satt, aber die Höhen werden nicht verschluckt. Dafür komme ich mit der Cruise Control nicht wirklich zurecht. Bergauf kann er sich meistens nicht zwischen den Gängen entscheiden und wenn man einmal auf die Bremse steigt, beschleunigt das Auto auch nicht mehr. Und bremsen muss man doch häufiger, denn das Rechtsfahrgebot gilt hier – wenn überhaupt – nur als sanfter Hinweis. Zum Ausgleich darf man dann rechts überholen, was wiederum ängstlichen Beifahrerinnen weniger behagt.


(Es ist mittlerweile 6.45 Uhr früh, ich sitze vor dem Zimmer in Scottsdale mit Blick auf den Pool, die Sonne kommt bald über den Bäumen hervor und einige ältere Damen schlurfen aus ihren Zimmern, um eine zu rauchen.)

Unerwartet früh – kurz nach 17.00 Uhr – treffen wir in Phoenix ein. Einer Stadt mit etwa 900.000 Einwohnern, die sich aber offensichtlich über Dutzende Meilen erstreckt. Wir sind im Vorort Scottsdale untergebracht und das Hotel Hospitality Suite ist eine echte positive Überraschung. Der Empfang ist freundlich, das Frühstück wieder inkludiert und die Dame weist uns noch darauf hin, dass bis 18.30 Uhr die Drinks an der Poolbar frei seien. Das nennt man wirklich Hospitality.

Also schnell ins Zimmer, das eigentlich ein Apartment ist und zum ersten Mal fühle ich mich bestätigt, bei FTI die bessere Hotelkategorie gewählt zu haben. Der Mai Tai ist zwar stark verbesserungswürdig und wird im Wegwerfbecher ausgegeben, das Poolwasser ist etwa 28 Grad warm, eher schmutzig und somit nach 30 Sekunden wieder Geschichte, aber meine Laune bessert sich dennoch.

Am Pool höre ich dann plötzlich deutsch und tatsächlich ist es die fussballjubelnde Familie aus Palm Springs, bei denen ich mich mit einem „Oh Schande“ als Reaktion auf die Führung Deutschlands vorgestellt habe. Wenn die uns nun eventuell die nächsten 17 Tage begleiten – oh my goodness. Zumindest höre ich den Hinweis mit (Deutsche sind ja oft über grössere Entfernungen gut hörbar), dass nebenan ein Supermarkt sei und tatsächlich geht es sich gerade so aus, dass wir sie mit 50 Meter Respektabstand dorthin verfolgen.

Die Packungen sind wieder mal riesig, aber innerhalb von fünf Minuten nehmen wir alle Mias Vorschlag auf, nicht Essen zu gehen, sondern ganz amerikanisch die Mikrowelle anzuwerfen. Es überrascht niemanden, dass ich der erste Befürworter dieses Vorschlags bin.

Burritos, Pasta und zwei chinesische Gerichte sind unsere Auswahl und ein kleines 1-Liter-Eis als Dessert. Die Mikrowelle ist leistungsschwach, doch irgendwann tauen die Sachen doch auf und zumindest drei von uns sind geradezu begeistert, wie amerikanisch wir hier essen. Die Burritos sind labbrig, aber ok, die chinesischen Gerichte sogar relativ gut, nur die Nudeln mit Käse weisen keinerlei Eigengeschmack auf. Dazu für drei von uns Budweiser Ice, das wir in der kleinsten Grösse von etwa 1 Liter erworben haben und nachher noch vier Strawberry Daiquiri, der – wie sich herausstellt – auf Malzbierbasis hergestellt wird (!?). Sind schon echte Feinschmecker hier.

Dennoch – wir sind gesättigt, guter Laune und in Abstufungen müde bis saumüde. 2 $ für das Zimmermädchen, das den Abwasch machen darf, und ab ins Bett.

(Es ist mittlerweile 7.15 Uhr; der Pool wird gerade gereinigt und ich habe beim Aufblicken am Busch drei Meter vor mir einen Kolibri gesehen. Es verspricht ein guter Tag zu werden. Und vielleicht ist mein Körper nun auch in dieser Zeitzone angekommen.)

Palm Springs (4)



Foto: Die Packungsgrössen in den USA entsprechen nicht unbedingt unseren Gewohnheiten, aber in den USA gilt: Size matters

Also weg aus LA und ab auf den Freeway Richtung Palm Spings. „Hotel California“ von den Eagles passt genau dazu. Nach nur einer guten Stunde zähflüssigen Verkehrs lassen wir LA tatsächlich hinter uns, wobei wir das nicht so genau beurteilen können, denn die Abfahrten von den Freeways sind nur nach den Strassennamen, auf die sie führen, benannt, aber in welchem Ort sich die Strasse befindet, kann man nur raten.

Zunehmend übernimmt wieder die Wüste ihre angestammte Herrschaft, die ihr mit Hilfe der abtransportierten Wassermassen des Colorado River entrissen wurde. Der Verkehr bleibt dicht, doch stellenweise lässt sich sogar das Speed-Limit von 75 mph etwas übertreten. Und ich bin nicht allein damit – das gibt Hoffung für den Rest der Reise.

(Es ist mittlerweile 6.30 Uhr und das Bad ist zu winzig, um einige Liegestütze zur Lockerung zu machen. Ehrlich gesagt, nicht nur zur Lockerung. Liegestütze sind meine kleine Midlife-Crisis – der Versuch mir zu beweisen, dass ich noch nicht alt geworden bin. Oder noch nicht sooo alt. Bis zu 47 Liegestütze – das gibt ein wenig seelische Stütze, wenn der Rücken oder die Knie schmerzen bzw. wenn ich am Fragebogen 50 bis 60 Jahre ankreuzen muss. Und es kommt billiger als ein BMW-Cabrio und ist vermutlich familienverträglicher als eine junge Freundin.)

Palm Springs also - ein klingender Name mit dem Flair von Celebrities. Mittlerweile ist es wohl vor allem Alterssitz für die Mittelschicht, deren sonnengegerbte Haut noch nicht lederig genug ist und nebenbei Absteige für Touristen wie wir es sind. Der Palm Canyon Drive bietet soviel Exklusivität wie die Touristenboulevards in Jesolo oder Las Palmas. Souvenirläden, Billigkleidung und Bars, die jede Menge Wasserdampf zur Kühlung in die Luft sprühen.

Es ist das Land der Verschwendung und der Gigantomanie. Letzteres zeigt ein abendlicher Besuch im Supermarkt. Die Packungen sind mindestens doppelt so gross wie in Europa. Sogar die Zahnpastatube hat 250 statt 100 ml Inhalt und das Fruchtgummisäckchen wiegt 1 Kilogramm. Wenn dann ein Artikel nicht so leicht vergrössert werden kann wie eine Coladose, dann ist die kleinste Packungsgrösse ein 6er oder meist ein 12er-Pack. Also 80 Dollar an der Kasse und der Gedanke, dass in den US-Wohnungen statt zwei Vorratsladen wie bei uns zwei Vorratsräume vorhanden sein müssen.

Vier (halbe!) Subway-Sandwiches komplettieren das Abendessen, das mangels lauschiger Sitzgelegenheit im Freien dann im Zimmer eingenommen wird. Das auftauchende Völlegefühl im Magen wegen des vermutlich 97prozentigen Fettgehalts in der Sandwichfüllung versuchen wir mit einem Bummel über den Palm Canyon Drive zu vertreiben. Da es auch schon gegen 22 Uhr ist und die Wasserverdampfer fleissig arbeiten, sinkt die Temperatur der 40-Grad-Grenze entgegen. Celsius versteht sich.

Tag 2 - In Los Angeles (3)

(Meine Frau musste nun gerade in Palm Springs für kleine Mädchen und so sitze ich nun wenigstens auf einem Sessel und nicht abwechselnd am Fussboden oder auf bzw. in der Badewanne. Mein bereits schmerzender Rücken wird sich in den nächsten Stunden fortwährend bei ihr bedanken.)

Zurück nach Los Angeles. Die Familie beschliesst, den Tag mit einem Hotelfrühstück zu beginnen. 4 x Tee, 2 x Blueberry Pancakes, 1 x Bagel und noch 2 Croissants für mich, bitte. Und vielen Dank, José, dass sie alle unsere Wünsche erfüllen wollen. Das sind wir von zuhause nicht gewohnt - da ist der formulierte Anspruch geringer.

Der naheliegendste Wunsch nach einem schmackhaften Frühstück scheint allerdings für José unerfüllbar. Meine Croissants sind zäh und mit Sicherheit nicht aus diesem zarten, buttrigen Teig. Die Pancakes sind für die Kinder bestenfalls unter einer dicken Sicht Zuckersirup essbar - und dann erst der Tee. José wässert kurz einen einsamen Teebeutel in einer grossen Thermoskanne, bevor er die vier Häferl einfüllt. Ein leichter Gelbton ist mit etwas Imagination erkennbar. Heisse Zitronenlimonade also für mich und - frei nach Asterix bei den Briten - „Kann ich etwas Milch in mein heisses Wasser haben“ für die anderen drei. Die Kinder kapitulieren doch trotz aller Vorfreude vor den Pancakes. Also 15 Prozent Tip auf die 35 Dollar und haben auch Sie einen great day, José.

15 Dollar Parkgebühr zahlen, den Riesen Dodge mit Mühe einräumen und mir von den Kindern Tipps für das Automatikgetriebe geben lassen: Ja, man kann tatsächlich das Auto nur wieder starten, wenn der Hebel auf Park-Position steht.

Aber jetzt die Eagles - Take it easy. Kalifornischer geht es nicht. Und zum Flughafen, um Carol, unsere Griechenland-Bekannte von vor 21 Jahren, abzuholen und mit ihr zu lunchen.

Wir finden Sie tatsächlich dank Mobiltelefon, denn die dunken, gelockten Haare sind nun blond und glatt. Und hat sie auch damals gelispelt? Jedenfalls ist sie gut gelaunt, amerikanisch kommunikativ und dermassen froh, uns wieder zu sehen. Immerhin haben wir ja vor 21 Jahren gemeinsam einen ganzen Tag auf Naxos verbracht. Sie lebt jetzt allein mit Katze, mit Michael hat sie aber eine Freundschaft aufrechterhalten und beruflich schult sie staatliche Ökonomen.

Ihr Lieblingslokal, in dem schon einmal Jake Gyllenhaal mit Kirsten Dunst sass, wirkt wie eine mediterrane Delikatessenbar und der Thunfisch-Salat ist mässig, aber ordentlich teuer. Carol bekommt aber Prozente, weil sie Mitglied im Klub eines regionalen Radiosenders ist – was immer das für ein Lokal für einen Unterschied machen mag. Jake Gyllenhaal ist diesmal nicht da, aber dafür ist der desolate Parkplatz voll von deutscher Wertarbeit: BMW, Audi, Mercedes, Mini und ein VW Touareg.

Ein kurzer Zwischenstopp im ebenfalls überteuerten Wholefood-Supermarkt und dann bringen wir Carol und ihren Orangensaft heim in ihr Haus an der Miracle Mile. Tatsächlich handelt es sich um eine Art Vorstadtsiedlung mit lauter kleinen und netten bis entzückenden Häuschen, die teilweise sogar aus den 30 Jahren stammen, wie Carol stolz betont. Uns fehlt ein wenig die nötige Ehrfurcht vor dieser imposanten historischen Bedeutung, aber das Haus ist ausgesprochen charmant und wirkt innen eher spanisch-mexikanisch. Alte Möbel, elegante Bögen und eine offensichtlich ob der Einsamkeit schwer verstimmte Perserkatze, die nun 50 Prozent der gesamten Kommunikation übernimmt.

Verabschiedung, Austausch von Freundlichkeiten, ich nehme 20 Prozent der Perserkatze in Form von Haaren an meiner Hose mit und frage mich anschliessend, was den Unterschied zwischen damals einem faszinierenden und unterhaltsamen Tag mit zwei US-Amerikanern und dieser doch etwas bemühten und oberflächlichen Begegnung ausmachte.

Sicher, wir haben kurz über Obama, Bush und Elvis Costello gesprochen, doch da war nicht mehr dieses freundliche Aufeinanderprallen zweier Kulturkreise mit einer gewissen wechselseitigen Faszination. Sind wir nur zu alt, zu gebildet und zu erfahren geworden für ein solches Erlebnis?

Bin ich zu spät dran für diese Reise? 1992 wollten wir sie machen, aber da war dann schon Lisa im Kommen und erst jetzt ist Mia alt genug, um diesen anstrengenden Trip selbst zu wollen. Die Faszination für das Neue ist mit dem zunehmenden Alter geschwunden. Vieles kennt man schon und den Rest übernehmen die Medien.

Aber, hey, dies ist meine Traumreise, die ich schon seit Jahrzehnten machen wollte, und somit wird sie nun auch zu einer Art Test. Einerseits ein Test, ob das Feuer wieder ein wenig auflodern kann und andererseits für die Frage, ob die Vor-den-Kindern-Art des Urlaubs mit langen Autofahrten und vielen Besichtigungen noch passt oder ob sie unbequem sitzt wie die alte, aus Nostalgiegründen aufbewahrte Kleidung aus dieser Zeit (als ich noch 53 kg wog). Mein Geist, mein Bauch und mein Rücken haben sich seither deutlich verändert. Und Meine Frau ist mittlerweile erholungsbedürftiger geworden und vielleicht sogar ich selbst.

Ankunft in Los Angeles (2)

20 Uhr Ortszeit bei der Landung oder 5 Uhr morgens biologisch. Zumindest ist die Einreiseprozedur bereits erledigt und wir machen uns auf die Suche nach dem Schalter der Autovermietung. Wie sich herausstellt befindet sich dieser originellerweise etwa 2 Meilen vom Flughafen entfernt und ist nur mit Shuttlebus zu erreichen.

Noch einmal ein kurzes Anstellen und dann kann Frau Maria von Alamo Rent-a-car ihr Cross-Selling beginnen. Einen Minivan gebucht? Schlechte Wahl, denn sie sind ja nur vier Personen. Für nur 770 Dollar Aufpreis kann sie uns einen Superior-SUV zur Verfügung stellen, der ist dann kürzer, hat aber mehr dafür mehr Zylinder. Wer kann da schon Nein sagen? Ich beispielsweise.

Welche Fluglinie hätten wir denn benützt, fragt Frau Maria in einem offensichtlich spontanen Einfall. Nach Durchsicht unserer Bordkarten und einer halben Minute sinnlosen Herumtippens auf ihrer Tastatur reduziert sich der Aufpreis auf 315 Dollar, weil wir Air Canada geflogen sind. Was für ein Glück aber auch. Ich bin zwar todmüde, aber so blöde bin ich nicht einmal nach drei Tagen Schlafentzug Marke Guantanamo und anschliessendem Waterboarding.

Ich habe mit dem Minivan immerhin in Österreich die teuerste Klasse gebucht, gute Frau. Ja, vielleicht, aber nicht acht Zylinder und mehr Bodenfreiheit. Diese Form der Verhandlung kenne ich eher aus ägyptischen Bazars und so wird mein "Nein, danke" bereits entschiedener. Frau Maria kontert mit der Aussicht auf eine Zusatzversicherung um nur 5 Dollar pro Tag. Wie bitte, ich habe doch bereits Vollkasko mit der teuersten Stufe gewählt. Ja, aber Schäden an den Reifen oder an der Windschutzscheibe sind damit nicht abgedeckt und das passiert ja am Häufigsten, daher sei die Zusatzversicherung dringend zu empfehlen. Vielen Dank, dass ich das nun auch erfahren darf und NEIN, DANKE. Wir möchten das Auto so wie bestellt.

Darauf hin schaltet Frau Maria vom ägyptischen Bazar auf Dienstleistung Marke "DDR 1980" um und beantwortet Fragen nach dem GPS oder wo wir denn jetzt unser Auto bekommen können, nur mehr höchst unwillig und bestenfalls noch einzelne Silben murmelnd. Wir finden mit Mühe den Ausgang und erfahren vor der Tür, dass die Wagen gegenüber stehen und man sich einfach einen aus der richtigen Reihe aussuchen kann. Die Schlüssel stecken und die Minivans finden wir in der letzten Reihe.

Diese heissen einheitlich Chrysler Town + Country (bei uns als Grand Voyager bekannt), sind deutlich länger als fünf Meter, weisen sieben Sitze auf und wenn man die dritte Sitzreihe mühsam umklappt, bekommt man trotzdem unser Gepäck mit zwei grossen Taschen, zwei mittleren Trolleys und einem Handgepäck nicht unter. Super. Etwas dass unser Opel Astra Caravan, der einen Meter kürzer ist und vermutlich ein Drittel dieses Ungetüms wiegt, locker aufnimmt. Wir sehen uns bereits auf Knien zu Frau Maria zurückkriechen, um vielleicht doch noch aufzahlen und umbuchen zu dürfen.

Doch am Rande steht noch einer. Der ist zwar einen Viertelmeter kürzer, aber die letzte Sitzreihe lässt sich besser umklappen und das Gepäck passt mit Aufeinanderschlichten gerade noch hinein. Tiefes Durchatmen. Dodge Journey – der Name passt.

Die Getriebeautomatik und ich begegnen einander zwar von Beginn an mit grosser Abneigung und die Rundumsicht im Dodge ist nur eine Spur besser als in einem Panzer, aber ich schaffe es bis zur Parkplatzausfahrt. Dort stellt sich heraus, dass der Dodge Journey laut Alamo ein Superior-SUV ist. Gelingt Frau Maria doch noch die verspätete Rache und müssen wir hoffen, dass sie sich mit 315 Dollar Aufpreis zufrieden gibt? Nach zwei Minuten Palaver hat die Crew am Ausfahrthäuschen ein Nachsehen und gratuliert zum Free Upgrade. (Später zuhause sehe ich dann auf der Webpage, dass der Dodge Journey ein Minivan und kein SUV ist und samt seiner acht Zylinder mickrige 24.000 Dollar kostet).

Aber wir werfen erleichtert unser Navigationsgerät an und ruckeln los zum Holiday Inn LAX, das nur etwa eine Meile entfernt ist. Es wurde wohl in den 70ern erbaut, seither nicht mehr renoviert und ist etwas schmuddelig. Aber sie haben vier Betten für uns, das zählt.

Es ist mittlerweile 22 Uhr oder 7 Uhr früh MEZ und so sinken wir alle danieder. Zwei rastlose Stunden später schlucke ich eine halbe Schlaftablette und so kann ich am biologischen Vormittag noch vier Stunden Schlaf rausholen, bevor mir die zwei Decken, die dem Schutz gegen die zuvor bei 20 Grad Aussentemperatur wütende Klimaanlage dienten, doch noch zu heiss werden. Es folgen zweieinhalb Stunden unruhig im Bett mit Reminiszenzen zur bisherigen Reise und vergeblichen Versuchen, doch noch einzuschlafen. Zumindest die darauf folgende Dusche weckt mich, denn das Warmwasser funktioniert nicht. Good Morning America.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Tag 1 - Anreise von Wien nach Los Angeles


FTI Mietwagen-Rundreise USA Grandioser Westen , Juli 2010

Ein völlig subjektives Reisetagebuch

Samstag 3.7.2010, 2.30 Uhr Palm Spings Comfort Inn


( Es ist gekommen wie erwartet. Ich sitze in einem abgewohnten Hotelzimmer in Palm Springs am Badewannenrand und beginne zu schreiben. Es ist 2.30 Uhr und die Nacht ist seit 30 Minuten zu Ende. Oder anders ausgedrückt nach vier Stunden Schlaf. Ein besoffener Amerikaner wollte noch kurz direkt vor unserer Tür etwas sicher sehr Wichtiges kommunizieren und das reicht dann bei mir, um die Nacht zu beenden. Ich weiss ja, wenn ich wach werde, habe ich ein Problem wieder einzuschlafen und dieses Wissen hält mich dann einigermassen verlässlich wach.)

Genug Zeit also um zurückzublicken. Auf eine stressige Taxifahrt in Wien, da das Taxi von Airportdriver nicht kam. Wie befürchtet dann keine zusammenhängenden Sitze am Flug nach Toronto, dafür wenigstens nicht mehr genug Zeit, um zu Starbucks zu gehen – 20 € gespart. Also sitze ich 8 Stunden 45 Minuten allein am Weg nach Toronto. Nein, nicht wirklich allein, was mir die indische Familie mit dem bewegungsaktiven und antiautoritär erzogenen knapp Zweijährigen sehr bewusst macht. Zur visuellen und vor allem hörbaren Anteilnahme, denn der junge Mann kreischt automatisch, wenn er angeschnallt wird, angesichts der offenbar unzumutbaren Einengung seiner Persönlichkeit, gesellt sich dann noch die olfaktorische. Erschöpft vor lauter Schreien, das angesichts des entstehenden Luftmangels von Husten begleitet wird, kotzt er das zugegeben nicht besonders bekömmliche Essen auf den Boden neben mir. Klein-Indien als exotische Beimischung zur Reise auf einen anderen Kontinent.

Drei erschöpfte Personen, denn seine Mutter darf ich hier durchaus hinzuzählen, landen in Toronto. 20 Uhr MEZ und ich bin seit 17 Stunden wach. An Schlaf ist aber nicht zu denken, denn jetzt wird umgestiegen. Sinnigerweise darf auf der Weiterreise in die USA das Gepäck nicht automatisch durchgecheckt werden. Soweit reicht offensichtlich das Vertrauen in die verweichlichten Europäer nicht und so muss man das Gepäck holen, um es zweihundert Meter später wieder auf das nächste Band zu legen. Aber wir haben ja fast drei Stunden Zeit.

Wir beginnen mit Anstellen bei Air Canada, da aus unerfindlichen Gründen in Wien nur drei statt vier Bordkarten ausgestellt werden konnten. Dabei dürfte es sich allerdings um ein weiter verbreitetes Phänomen gehandelt haben, da ein gutes Dutzend Passagiere vor mir und fast so viele hinter mir auf zwei sehr gelassene kanadische Bodenbeamte treffen. Eine halbe Stunde später und wie sich später herausstellen sollte nun mit zwei Bordkarten für mich und weiterhin keiner für meine Frau widmen wir uns der Suche nach unserem Gepäck. Drei der vier Gepäckstücke haben es in dieser Zeit auch tatsächlich auf das Förderband geschafft; meine Tasche kommt allerdings erst eine Stunde nach der Landung. Warum Kanada als leistungsfähiger Industriestaat gilt, erschliesst sich mir in diesen Minuten nicht vollständig. Aber die Toiletten sind stylish.

Nun heisst es anstellen für die US-Immigration, die bereits in Toronto durchgeführt wird. Das Tempo des Vorrückens ist allerdings kaum messbar und die Schlange sicher 30 Meter lang. Als sie nur noch etwa 20 Meter misst, blicken wir auf die Bordkarten – nur noch 45 Minuten! Das ist Anlass genug für eine Extraportion Nervosität und einen kurzen Abstecher nach vorne an das Ende der Schlange. Beziehungsweise an deren Knick, wie sich herausstellt, auf den noch einmal 20 bis 30 Meter folgen. Ja, Panik.

Die Dame vom Sicherheitsdienst wirkt einigermassen zugänglich und ich schildere mein Problem. Nachdem sie die Bordkarten gecheckt hat, hat sie ein Einsehen, und wir nähern uns dem Vorderteil der Schlange, der sich dann auf die neun Köpfe in Form von US-Schalterbeamten aufteilt (eine moderne Version der griechischen Tragödie?). Offenbar findet unsere Idee neue Anhänger, denn hinten hören wir häufig Verzweifeltes wie „15 Minutes to Take Off“ und ähnliches.

Das macht Mut für einen zweiten Bypass und so stehen wir bald vor Mr. Sanchez am Diplomatenschalter für die besonders Eiligen. Dieser fragt nach Durchsicht der Dokumente allerdings mit zunehmender Verärgerung, warum wir ihn hier belästigen würden. Nun, die Dame dort hat ein Einsehen gehabt, da in weniger als 25 Minuten unser Flug geht. Irrtum, meint Mr. Sanchez nach Blick auf die Bordkarte – dann beginnt das Boarding, denn die angeführte Zeit ist natürlich nicht die Abflugzeit.

Ich teste kurz die Beschaffenheit des Bodens, um darin versinken zu können, aber Mr. Sanchez hilft uns wenigstens bei der Busse, indem er sich extra viel Zeit nimmt. Bitte nochmals diese vier Finger auf das Abtastgerät. Und jetzt nochmals den Daumen. In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen diese vier gleichnamigen Personen denn? Sehen wir vielleicht aus wie vier Brüder? Mia, what is your date of birth und andere wichtige Fragen, die für die innere Sicherheit der USA offensichtlich von fundamentaler Bedeutung sind.

Dann folgt der nochmalige Blick auf unsere Bordkarten. Da fliegen die Töchter Lisa und Mia sowie zweimal René. Das ist zuviel für Mr. Sanchez und er verschwindet für fünf Minuten. Also für gefühlte dreissig Minuten. Er taucht dann aber glücklicherweise nicht mit zwei bulligen Kollegen von der anderen Abteilung, sondern mit einem eigenen Boardingpass für meine Frau wieder auf. Thank you very much indeed, Mr. Sanchez.

So erreichen wir den Flugsteig noch kurz vor dem Boarding, um dann im Flugzeug sukzessive mitzubekommen, dass dies alles einer Gruppe sprachreisender Spanier offensichtlich nicht so elegant wie uns gelungen ist. Und um zu lernen, dass Air Canada-Piloten auf dem Flug in die USA ebenso offensichtlich Kummer gewohnt sind und den Abflug bereitwillig um mehr als 30 Minuten nach hinten verschieben.

Anschliessend nochmals fünf Stunden im Flugzeugsitz, wobei „Clash of the Titans“ gegen die zunehmende Müdigkeit nur wenig Abhilfe schafft. Wer dem Blick von Mr. Sanchez Stand gehalten hat, dem entlockt die Medusa allenfalls noch ein abfälliges Lächeln. Kurzfristig steigt der Adrenalin-Pegel nochmals, als wir bei der Menu-Karte die Preise erblicken, die unsere einzige Verpflegungsmöglichkeit begleiten. 10 Dollar für ein Sandwich und zwei Schokoladen-Cookies. Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, die AUA auf diesem Weg sanieren zu wollen.

Ein leichtes Auftauchen aus der Dämmerung der Müdigkeit bewirkt der Blick aus dem Flugzeugfenster auf LA in der Abendsonne: Das grösste Dorf der Welt, das selbst aus 10 Kilometer Höhe fast von Horizont zu Horizont reicht und irgendwo mitten drinnen 20 oder 30 Hochhäuser, die sich Downtown nennen. Wir sind da.